In seinem Buch “Diamond Heart - Elements of the Real in Man” (1987) stellt H. A. Almaas die “Theorie der Löcher” vor. Was ist für ihn ein Loch? Ein Loch ist ein Teil von dir, der verloren
gegangen ist. Ein Teil deines Wesens, deiner Essenz, von der du abgeschnitten worden bist.
Diese Löcher sind in der Kindheit entstanden, zum Teil als Folge traumatischer Erfahrungen oder von Konflikten mit der Umwelt. Vielleicht haben deine Eltern dich nicht wertgeschätzt. Sie haben dich nicht so behandelt, als wären deine Wünsche oder deine Anwesenheit wichtig. Weil dein Wert nicht gesehen oder anerkannt wurde oder vielleicht sogar angegriffen oder entmutigt wurde, wurdest du von diesem Teil von dir abgeschnitten, und was übrig blieb, war ein Loch, ein Mangel.
Wenn du nun eine tiefe Beziehung zu jemandem hast, füllst du diese Löcher mit der anderen Person auf. Zum Beispiel fühlst du dich vielleicht wertgeschätzt, weil diese Person dich schätzt. Es ist dir aber nicht bewusst, dass du das Loch mit ihrer Wertschätzung füllst. Aber wenn du mit dieser Person zusammen bist, fühlst du dich wertvoll, und unbewusst hast du das Gefühl, dass die andere Person für deinen Wert verantwortlich ist. Was immer diese Person dir gibt, fühlt sich wie ein Teil von dir an.
Ein wunderbares Beispiel für dieses Auffüllen der Löcher durch jemand anderen findet sich im Film “The Color of Money” von Martin Scorcese aus dem Jahr 1986. Der pensionierte Billardspieler Eddie versucht den talentierten jungen Spieler Vincent zu überzeugen, mit ihm auf eine Tournee zu gehen, wo Eddie hofft, mit dem Spiel von Vincent viel Geld zu verdienen. Um Vincent zu überreden, sagt Eddie zu ihm, Vincent’s Freundin Carmen sei gelangweilt und unzufrieden mit diesem normalen, spiessigen Leben. Um dies zu unterstreichen, flüstert Eddie Carmen zu, sie solle sich heute etwas rar machen. Als Carmen nach draussen geht, um Zigaretten zu kaufen, merkt man es richtig körperlich, wie sich Vincent’s Ausstrahlung abschwächt. Er wird unruhig, unsicher, sucht seine Freundin, während er vorher, als sie bewundernd seinem Billardspiel zuschaute, vor Stärke nur so strotzte. Carmen scheint elementar wichtig zu sein für Vincent’s Selbstwertgefühl.
Wenn nun dein Partner, deine Partnerin für eine Zeit verreist oder die Beziehung sogar endet, hast du nicht nur das Gefühl, dass du die Person verlierst, sondern dass du das verlierst, was die Lücke ausgefüllt hat. Man erlebt das als den Verlust eines Teils von sich selbst. Das ist der Grund, warum es so schmerzhaft ist. Es fühlt sich an, als ob etwas aus einem herausgenommen wird.
Jeder tiefe Verlust ist aber immer auch eine Gelegenheit, zu wachsen, mehr über sich selbst zu erfahren, Löcher zu erleben, von denen man glaubt, dass sie nur von jemand anderem gefüllt werden können. Die Essenz, von der man glaubte, sie verloren zu haben, war nämlich immer da, tief unten, unberührt, wartend auf deine Heimkehr.